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Digitale Ästhetik


In der heutigen Medienlandschaft ist eine buchtaugliche Schrift längst nicht mehr das Maß aller Dinge. Neue Kommunikationsmittel verlangen nach neuen Formen, da sie andere Ziele verfolgen und sich an andere Adressaten wenden. Während das Internet die Illusion eines Global Village propagiert, bilden sich Bewegungen, die sich zwar nicht auf nationaler, aber auf kultureller Ebene abgrenzen. Solche gesellschaftlichen Untergruppen, oft nach dem Zufallsprinzip über die Weltkugel verteilt, unterstreichen ihre Identität durch eine eigene Gedankenwelt, ein eigenes Berufsprofil, eigene Normen und Moden, eigene Formensprache und visuelle Kommunikationscodes.
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Die Einflüsse von Punk und Graffiti
In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts brachte die Jugendkultur die Punk-Bewegung hervor, die sich auch einen neuen Kommunikationscode zulegte. In der spannenden Atmosphäre am Rande der Illegalität entwickelte sich aus auf Mauern gesprayten Botschaften eine stark kodierte Bilderschrift, fast so etwas wie eine Geheimsprache. Ihre Formen, die Graffiti, wurden zur Inspirationsquelle für eine neue Kunstrichtung – mit Keith Haring als bekanntestem Vertreter – und eine neue grafische Formensprache. Mit Argusaugen beobachteten die Grafikdesigner den freien Umgang mit Farbe, Schrift und Bild und begannen – bereits „zeichnend“ –, mit der Dehnbarkeit der Schrift als Form und Bedeutungsträgerin zu experimentieren.
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Typografie auf einem Album der Punkgruppe The Tubes. Die Buchstaben sollen natürlich absichtlich angegammelt wirken; die Schriften an sich sind traditionell.
 
Die Zeitschrift als Katalysator
Die neue Designergeneration hatte ihre eigenen Tummelplätze: junge Zeitschriften, alternative Plattenlabel, progressive Fernsehsender. Sie vertraten einen empirischen Ansatz, experimentierten mit Ideen und Technik und untersuchten die monumentalen, autonomen Ausdrucksmöglichkeiten des Schriftbilds. Seit Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts prägte Neville Brody das Gesicht der englischen Zeitschrift The Face, unter deutlichem Einfluss von Punk und Dadaismus. Wie für Wolfgang Weingart aus Basel, dessen New-Wave-Typografie auch eine Auflehnung gegen die Hegemonie des „Schweizer“ internationalen Stils war, bedeutete Lesbarkeit für Brody keinesfalls dasselbe wie „mühelos zu lesen“.
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Alles schon mal da gewesen: Oben ein Cover der Zeitschrift Club Dada von 1918. Dada war eine der Inspirationsquellen für Entwerfer wie Neville Brody und Art Chantry.
 
Die Schriftindustrie strampelt sich frei
Unberührt von den umsturzwilligen jungen Wilden unter den Typografen stampfte die Schriftindustrie zunächst im alten Trott weiter, mit dem bleiernen Ballast jahrhundertealter Tradition und schwerer Setzmaschinen. Als die Fotosetzmaschinen während der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts langsam aber sicher den Bleisatz verdrängten, gründeten die Entwerfer Herb Lubalin und Aaron Burns die International Typeface Corporation (ITC). Die ITC ließ erstmals Schriften entwerfen, die keine Rücksicht mehr auf die begrenzten technischen Möglichkeiten der Setzmaschinen nahmen. Der Entwurf selbst war die Basis.
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Die Avant Garde Gothic war eine der ersten ITC-Schriften, benannt nach der Zeitschrift Avant Garde, deren Artdirector Herb Lubalin war. Der Zeichenabstand bei der Avant Garde ist minimal, und sie besitzt auffällige Ligaturen (siehe oben). Die Ligaturen wurden nicht in die PostScript-Version aufgenommen, liegen inzwischen aber in der neuen OpenType-Version (2005) von ITC vor.
 
Der erste digitale Schriftenverlag
Der Schriftgestalter Matthew Carter und der Bereichsleiter Mike Parker von Linotype beschlossen circa 1980, ihren eigenen Betrieb zu gründen, der sich nur auf Entwurf und Verkauf konzentrieren sollte: Bitstream. Unterstützt wurden sie von jungen Hardware-Produzenten wie Scitex, die zwar leistungsstarke digitale Setzgeräte entwickelt hatten, jedoch nicht die Zeit dazu fanden, eigene Schriften entwerfen zu lassen. Bitstream füllte diese Lücke und baute eine eigene Kollektion auf.
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Ästhetische Neuerungen
Die neuen fotografischen und digitalen Techniken verlangten etliche typografische Anpassungen. Doch bei aller Dominanz der Technik gab es auch ästhetische Neuerungen beim Entwurf von Schriften. 1975 entwarf Matthew Carter im Auftrag von AT&T in Amerika die Bell Centennial. Die Buchstaben sind mit sogenannten ink traps versehen, die dafür sorgen, dass die Buchstabendetails beim Drucken auf dem dünnen und saugfähigen Telefonbuch-Papier nicht verschwinden.
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Die Bell Centennial von Matthew Carter mit den typischen ink traps.
 
Emigre
Rudy Vanderlans, ein niederländischer Entwerfer, der 1980 sein Studium abgeschlossen hatte und anschließend bei den Büros Vorm Vijf und Tel Design in Den Haag arbeitete, fühlte sich in kreativer Hinsicht unterfordert. Die Arbeit bei den großen Büros bestand großenteils in der Gestaltung von Geschäftsausstattungen. Dabei kann der Prozess selbst oft mehr Zeit in Anspruch nehmen als der kreative Teil. Vanderlans beschloss, eine Weile nach Amerika zu gehen, und bewarb sich um einen Studienplatz an der Universität von Kalifornien in Berkeley: Zu seiner Überraschung wurde er sofort angenommen. Hier begegnete er Zuzana Licko, die er 1983 heiratete. Mit einigen weiteren Niederländern, die es an die Westküste verschlagen hatte, gab Vanderlans die Zeitschrift Emigre heraus. Die erste Ausgabe war noch komplett mit Schreibmaschinen-Typografie und kopierten Fotos gestaltet. Licko interessierte sich aber schon sehr für Computer und begann bereits früh, zu experimentieren und zu programmieren. 1984 kauften Vanderlans und Licko nach einem Einführungskurs den ersten Mac mit 128 KB Speicherkapazität. Licko begann anschließend mit dem Entwurf von Schriften in niedriger Auflösung mit dem Programm Font­Editor, das als public-domain-Software angeboten wurde. Die ersten Schriften, die sie entwarf, waren die Emperor, die Emigre und die Oakland für Matrixprinter. In Emigre 2 von 1985 wurden die Emigre und die Oakland erstmals für einen Teil des Texts verwendet. Das Besondere an Emigre ist, dass Zuzana Lickos Entwicklung als Schriftentwerferin technikbasiert ist und erst durch das Ersetzen der traditionellen Setzapparatur mit dem Computer so richtig in Gang kam. Die anfängliche Kritik bezüglich mangelnder Lesbarkeit ist im Laufe der Zeit verebbt.
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Die Oakland und die Emperor von Zuzana Licko. Die Nummern Eight, Fifteen und Nineteen beziehen sich auf die Pixelhöhe der Versalien. Unten das kleine g der Oakland Eight. Die Anzahl der Pixel in der Höhe ist gut zu zählen.
 
FontShop
In seinem ersten Buch The Graphic Language of Neville Brody (1988) schrieb Neville Brody noch, dass er nicht viel von den in seinen Augen viel zu langsamen Computern halte. 1990 gründete er dann (wie so viele andere zu der Zeit) einen eigenen Schriftenverlag, gemeinsam mit Erik und Joan Spiekermann: FontShop. Die gegensätzlichen Entwürfe des Puristen Erik Spiekermann und des Punkdesigners Brody ergaben eine schizophren-schöne Kollektion: solide Textschriften neben ausgefallenen Display-Schriften. Ein diplomatischer Mix: Die Textschriften machten die häufig geschmähten weniger lesbaren Schriften salonfähig, jedenfalls in den progressiveren Entwerferkreisen. FontShop ließ sich genau wie Emigre nicht beirren und baute seine Kollektion stetig aus. Inzwischen umfasst sie mehrere Tausend Schriften. Von 1991 bis 2000 brachte Neville Brody zusammen mit Jon Wozencroft unter der Flagge von FontShop die Fuse-Serie heraus. Pro Ausgabe wurden vier Entwerfer gebeten, experimentelle Schriften beizusteuern, oft extra für Fuse entworfen. Die Ausgabe war kartoniert und umfasste eine Diskette mit den Schriften im PostScript-Format sowie vier Poster, eins von jedem Designer. Einige Schriften wurden später ausgearbeitet und in die FontFont-Kollektion von FontShop aufgenommen. Dutzende bekannte (Schrift-)Entwerfer beteiligten sich an dieser Kollektion.
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Fuse 1, Sommer 1991. Die Box enthält vier gefaltete Poster, eines für jede entworfene Schrift. Von links nach rechts: F State von Neville Brody, F Stealth von Malcolm Garrett, F Can You ...? von Phil Baines und F Maze von Ian Swift. Foto: Joep Pohlen.
 
Linotype
Ein Schriftenverlag mit langer Tradition im Schriftentwurf, der fast zu spät auf den Zug der Digitalisierung von Schriften aufgesprungen wäre. Bitstream hatte sich noch vergeblich um Lizenzen bemüht, Adobe hatte Mitte der achtziger Jahre mehr Glück. URW in Hamburg begann mit der Digitalisierung berühmter Linotype-Entwürfe, wie der Helvetica, der Univers, der Optima und der Frutiger. 1990 kam die Fusion mit der Firma Dr. Ing. Rudolf Hell GmbH, einem Pionier auf dem Gebiet des digitalen Setzens. Die Schriftenkollektion von Hell bestand fast ausschließlich aus aktuellen Entwürfen des Niederländers Gerard Unger und des Deutschen Hermann Zapf. 1997 ging der Firmenzusammenschluss in der Heidelberg Druckmaschinen AG auf. Die Schriftenbibliothek erhielt von Heidelberg den Namen Linotype Library, 2005 verkürzt zu Linotype. Aktuell gehört sie zu Monotype Imaging.
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Zwei kalligrafische Schriften aus der Linotype-Kollektion. Die Wilhelm Klingspor Gotisch wurde 1925 von Rudolf Koch entworfen. Die Zapfino von Hermann Zapf stammt von 1998 und ist eine echte digitale Schrift, die niemals in Bleisatz erschien und aufgrund ihrer feinen Überlappungen und ausschweifenden Ober-und Unterlängen auch nicht erscheinen konnte.

1996 startete Linotype ein umfangreiches Projekt unter der Leitung von Olaf Leu. Es sollte eine Schrift speziell für Jahresberichte entwickelt werden, ein Medium, in dem eine außerordentliche Bandbreite verschiedener Zeichen zum Einsatz kommt: Produkt- und Firmennamen, verschiedene Ziffernarten (im Text und in Tabellen), sogar verschiedene Schriftarten, beispielsweise für Überschriften und Bodytext. Olaf Leu und sein Team kamen zu dem Schluss, dass eine Schrift mit vier Schriftschnitten und vier Stilen sinnvoll sei. Nach einem gründlichen Vergleich bestehender Schriften wurden deren Vor- und Nachteile aufgelistet, und man entwarf die Compatil in vier Stilen: Compatil Exquisit (eine venezianische Renaissance-Antiqua), Compatil Fact (eine Serifenlose), Compatil Letter (eine serifenbetonte Linear-Antiqua) und Compatil Text (mehr Barock- als klassizistische Antiqua). Insgesamt besteht die Compatil aus 16 Schriftschnitten mit Kapitälchen und mitteleuropäischem Zeichensatz. Das Einzigartige daran ist, dass die verschiedenen Schriften untereinander austauschbar, weil gleich breitläufig sind.
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In oben stehendem Beispiel ist deutlich zu erkennen, wie systematisch die Compatil aufgebaut ist und wie konsequent daran gearbeitet wurde, dass die Schrift in allen vier Stilen gleich breitläufig ist, ohne dass es forciert wirkt.
 
Berthold
Ganz anders erging es Berthold. Die Firma konnte trotz der Rückkehr des bereits betagteren Entwerfers Günter Gerhard Lange als künstlerischer Berater im Jahr 2000 ihre vormalige Führungsrolle nicht mehr zurückgewinnen. Günter Gerhard Lange entwarf bei Berthold Schriften wie die Concorde, AG Book, Arena und die Imago, zudem diverse Revivals von Schriften wie der Baskerville, der Bodoni, der Akzidenz Grotesk und der Garamond. Weiterhin erwähnenswert am Berthold-System ist, dass der Schriftgrad in Form der Versalhöhe in Millimetern angegeben wird und demnach messbar ist.
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Links das kleine a der Formata. Rechts einige Entwürfe von Berthold und darunter einige Berthold-Schriften mit einer Schriftgröße von 18 mm. Darunter einige Schriften anderer Verlage, die bei einer Schriftgröße von 54 pt alle unterschiedliche Versalhöhen haben
 
Monotype
Monotype gehörte zu den tonangebenden Lieferanten von Setzapparaturen und Schriften. Genau wie Linotype und Berthold geriet Monotype in Existenznöte, als der Mac die Hardware überflüssig machte. Wechselnde Eigentümer kamen und gingen. 1998 kaufte Agfa (mit der ehemaligen Compugraphic-Bibliothek) Monotype auf und führte die Schriftenkollektionen unter dem Namen Agfa Monotype zusammen. 2000 kam noch die Kollektion der International Typeface Corporation (ITC) hinzu, die zuvor die Bibliothek von Letraset übernommen hatte. Der Name änderte sich zu Monotype Imaging. Monotypes populärste Schrift ist die Arial, eine leicht abweichende Kopie der Helvetica. Monotype hat inzwischen auch Linotype übernommen.
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Die ITC Legacy ist ein Entwurf von Ronald Arnholm von 1992, mit einer Serife und einer Sans. Abgebildet die Serif Bold.
 
Adobe Type Library
Diese Sammlung wurde 1984 als Unterstützung der Softwareprodukte von Adobe und des Desktop-Publishing insgesamt begonnen. Es ist Adobe zu verdanken, dass die Qualität der Software-Typografie von Anfang an ernst genommen wurde. Die Adobe Type Library ist eine rein digitale Kollektion und trägt keine Altlasten mit sich herum. Nur zu Beginn wurden Lizenzen von Bestsellern anderer Anbieter gekauft. Von Anfang an ging man sorgfältig mit Rechten und Lizenzfragen um.
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Die Myriad (1992), die Nueva (1994) und die Chaparral (1997) von Carol Twombly, alle in OpenType-Ausführung.
 
Produktive Schriftentwerfer
Was man selbst erledigen kann, sollte man auch selbst tun. Immer mehr Schriftentwerfer kamen zu der Überzeugung, dass man über das Internet auch selbst seine Arbeiten promoten und verkaufen kann. Letztendlich steht und fällt alles mit dem Entwerfer. Die Schriften kleinerer Anbieter sind daher keinesfalls von minderer Qualität. So begann Jean François Porchez mit seinem eigenen Verlag, nachdem er bei FontShop seine FF Angie herausgegeben hatte. Lucas de Groot verlegte die erfolgreiche FF Thesis bei seinen eigenen LucasFonts, und David Quay gründete The Foundry, nachdem er diverse Schriften bei Letraset angefertigt und für ITC die Quay Sans entworfen hatte. Auch das amerikanische Font Bureau mit den Gründern David Berlow und Roger Black fing 1989 so an. Sie entwarfen vornehmlich Custom-Schriften für Publikationen wie die New York Times und Newsweek. Tobias-Frere Jones entwarf bei Font Bureau die populäre Interstate und gründete später mit Jonathan Hoefler ein eigenes Büro. Matthew Carter verließ 1991 das von ihm mitaufgebaute Unternehmen Bitstream und gründete mit Cherie Cone Carter & Cone.

In Deutschland operieren einige Büros, die sich nicht in erster Linie ums Entwerfen kümmern, sondern sich als Mittler zwischen Produzent und Nutzer positionieren. Elsner + Flake (gegründet 1986) ist das Designbüro von Veronika Elsner und Günther Flake aus Hamburg. Sie haben Schriften für führende Verlage wie ITC digitalisiert und um Eurozeichen und mitteleuropäische Zeichensätze ergänzt. Doch auch türkische, griechische, arabische und hebräische Schriften sind in der wachsenden Elsner + Flake-Bibliothek erhältlich. Allmählich kamen eigene Entwürfe und Revivals hinzu und wurden auch Display-Fonts aufgenommen. Das zweite Hamburger Büro, das von Beginn des digitalen Zeitalters an Schriften digitalisierte, ist URW++. Unter der Leitung von Peter Karow entwickelte URW (damals noch ohne Pluszeichen) das Programm Ikarus, mit dem zu Beginn des digitalen Zeitalters fast alle Schriften großer Verlage wie Linotype, Monotype und Berthold digitalisiert wurden.

In den Niederlanden arbeiten in alter typografischer Tradition noch einige Verlage, die vor allem Schriften für Buchproduktionen liefern. Da wäre zunächst The Enschedé Font Foundry (TEFF). Die Druckerei Joh. Enschedé en Zonen, gegründet 1703, ist in den Niederlanden bekannt für qualitativ hochwertigen Druck: von Banknoten, Briefmarken und anderem außergewöhnlichen Druckwerk. 1743 wurde die Schriftgießerei von Hendrik Floris Wetstein angekauft, und Enschedé begann, auch selbst Schriften zu produzieren. Seitdem haben bekannte Schriftgestalter bei Enschedé gearbeitet, wie Johann Michael Fleischmann, Sjoerd H. De Roos, Jan van Krimpen und Bram de Does. Bram de Does erhielt den Auftrag, für das 275-jährige Bestehen 1978 eine neue Schrift für das neue Fotosetzsystem von Enschedé zu entwerfen. Heraus kam die Trinité. Die große Bedeutung der Trinité veranlasste 1991 Peter Mathias Noordzij zur Gründung der TEFF, um die Tradition und das fachliche Können von Enschedé ins digitale Zeitalter zu retten. 1992 folgte die Lexicon, eigentlich speziell für das niederländische Wörterbuch van Dale entworfen. Fred Smeijers entwarf die Renard, Gerrit Noordzij die Ruse und Christoph Noordzij die Collis. Ein kleiner Verlag mit klassisch-schönen Schriften für Kenner.
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Oben stehend einige Seiten der Lexicon-Schriftprobe von The Enschedé Font Foundry (1997), entworfen von Marie-Cécile Noordzij. Auf der rechten Seite ist deutlich zu erkennen, dass die Lexicon Schriftschnitte mit unterschiedlichen Ober- und Unterlängen besitzt, um den Zeilenabstand zu minimieren, bei gleichzeitig größtmöglicher Wiedergabe der Buchstaben: ein typografisch-ästhetisches Spiel zwischen Lesbarkeit und Umfang eines Wörterbuchs oder Lexikons. Foto: Joep Pohlen.

Die Dutch Type Library (DTL) wurde 1990 von Frank Blokland gegründet und ist genau wie die TEFF auf Schriften für Buchproduktionen spezialisiert. Hier findet man hochwertige Schriften niederländischer und flämischer Herkunft. Die Produktion liegt höher als bei der TEFF, die Hälfte der Schriften besteht aus neuen Entwürfen, der Rest aus Re-Releases und Revivals. Blokland bittet die Schriftgestalter um einen Entwurf, die technische Produktion findet anschließend fast komplett bei DTL statt. Re-Releases sind die Albertina, 1960 von Chris Brand entworfen, und die Haarlemmer (1938, von Jan van Krimpen). Beide wurden ursprünglich für Monotype angefertigt.
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Die Haarlemmer auf einem Schriftmusterbuch von DTL von 1998. Foto: Joep Pohlen.
 
Autonomes Schriftdesign
Es gibt die Extreme der lesbaren und unlesbaren Typografie und etliche Zwischenformen. Manche Designer experimentieren mit diesen und anderen Aspekten der Typografie und des Schriftdesigns. Dazu gehört der Franzose Pierre di Sciullo, der 1995 für seine typografischen Experimente den Charles-Nypels-Preis erhielt. Seit 1983 gibt er seine Zeitschrift Qui? Résiste (www.quiresiste.com) heraus, in der er mit Zitaten, Collagen und Verformungen experimentiert.
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Links die Syntetik von Pierre di Sciullo, bei der das Wort Fotografie deutlich zu erkennen ist, doch in phonetischerer Wiedergabe als bei der offiziellen Schreibweise. Rechts seine FF Minimum, die bei FontShop erschienen ist. In der ersten Spalte stehen unter den Clair-, Medium- und Noir-Schriftschnitten die Horizontal- und Vertikal-Schriftschnitte, die jeweils nur die horizontalen und vertikalen Linien der Schriftschnitte wiedergeben.

Vom Niederländer Max Kisman finden sich diverse Schriftentwürfe in der Fuse-Serie. Er experimentierte bereits vor dem Mac mit Computern, um Entwürfe anzufertigen. 1986 gründete er zusammen mit einigen Freunden die Zeitschrift TYP/typografisch papier, die seither in unregelmäßigen Abständen erschienen ist. Die Niederländer Erik van Blokland und Just van Rossum führen gemeinsam das Büro LettError, das 2000 für seine typografischen Neuerungen den Charles-Nypels-Preis erhielt. Sie behandeln eine Schrift wie eine Schauspielerin, die vom Computer wie von einem Regisseur Anweisungen erhält, wie sie sich verhalten muss. Jede Schrift kann sich unterschiedlich verhalten. Ein Beispiel ist die Beowolf von 1990, deren Kontur innerhalb bestimmter Grenzen durch Zufall bestimmt wird. Die FF Beowolf wurde auch eine der ersten Schriften des damals neu gegründeten FontShop.
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Die Network von Max Kisman, eine Schrift, die hinsichtlich der Form mit den Schriften verwandt ist, die er auf den Postern für Paradiso in Amsterdam zeichnete. Darunter die Kosmik von LettError, die sowohl für die Plain- als auch für die Bold-Version drei Schriftschnitte mit alternativen Zeichen hat, sodass die Illusion entstehen kann, dass der Text von Hand geschrieben wurde, da es dabei nicht möglich ist, jeden Buchstaben jedes Mal genau gleich zu schreiben. Unten die Trixie von Erik van Blokland.

1992 fanden sich in Spanien die vier Designer Joan Barjau, Enric Jardí, Laura Meseguer und José Manuel Urós zu Type-Ø-Tones zusammen. Die Schriften sind bei FontShop erhältlich. Die Kollektion besteht ausschließlich aus Display-Schriften. Laura Meseguer ließ ihrer Tätigkeit für Type-Ø-Tones den Ausbildungsgang „Type and Media“ an der KABK in Den Haag folgen. Dort entwarf sie die Rumba, eine Schrift, die aus den drei Stilen Small, Large und Extra besteht. Die Rumba erhielt 2005 ein TDC Certificate of Excellence.
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Die drei verschiedenen Formen der Rumba von Laura Meseguer. Links unten der komplette Zeichensatz der Rumba Small. Mit Dank an Laura Meseguer für die Pdf der Schrift.

Zwei andere spanische Entwerfer, Andreu Balius und Joan Carles Perez Casasín, gründeten 1993 das Büro Typerware. Das Projekt, innerhalb dessen sie ihre experimentellen Schriftentwürfe veröffentlichten (über eine Website und Publikationen auf Papier) hieß garcia fonts & co. Diese Schriften waren nicht im Handel zu kaufen; es gab sie allein im Austausch für Schriften von Gastentwerfern, die dann in das Projekt garcia fonts & co aufgenommen wurden. Käuflich sind hingegen Typerwares FF FontSoup, ITC Belter und ITC Temble. Inzwischen hat Balius seinen eigenen Schriftenverlag Type Republic gegründet, mit einigen preisgekrönten Schriften wie der klassischen Pradell (2000–2003), inspiriert von Entwürfen des katalanischen Graveurs Eudald Pradell (1721–1788), mit schwungvollen Ligaturen.
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Die Pradell (oben) und die Trochut (unten) sind Entwürfe von Andreu Balius, inspiriert von katalanischen Schriften anderer Epochen.

Der Engländer Jonathan Barnbrook vom Schriftenverlag Virus begann mit dem Entwerfen von Schriften, weil ihn störte, dass man als Gestalter Einfluss auf Elemente wie Bild und Layout hat, aber nicht auf die Schrift. Als er sich 1989 das Programm FontStudio besorgte, hatte er endlich das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Bei Emigre brachte Barnbrook seine Schriften Exocet und Mason heraus. Natürlich gibt es noch etliche Entwerfer, die zur unruhigen Zeit der Umstellung auf die digitale Typografie als junge Rebellen begannen und, nachdem sie sich an unterschiedlich extremen Schriften ausgetobt hatten, zu den klassischen Formen zurückkehrten.
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Bukva:Raz!
Die Organisationen für Typografie und Schriftdesign, wie die Association Typographique Internationale (AtypI) und der Type Directors Club (TDC), sind darum bemüht, am Puls der Zeit zu bleiben. Aber auch Schriftenverlage wie Linotype möchten natürlich wissen, wohin der Markt tendiert. Dazu werden Wettbewerbe ausgeschrieben. Beim TDC findet jährlich ein solcher Wettbewerb mit Trendwatching-Nebeneffekt statt. Zum Abschluss veröffentlicht man ein Buch, in dem man außer den Gewinnern und typografischen Entwürfen auch eine Sektion mit neuen Schriftdesigns findet. Die AtypI organisierte 2000 erstmals seit ihrer Gründung 1957 den Wettbewerb Bukva:Raz!. Aus den 600 Einsendungen wurden 100 ausgewählt, nicht nur lateinische Schriften, sondern auch arabische, hebräische, kyrillische und griechische. Sie alle wurden in das Buch Language Culture Type aufgenommen, herausgegeben von Graphis und der AtypI. Wie bereits erwähnt hat auch Linotype einige Wettbewerbe ausgeschrieben. Mit den Beiträgen wurde die CD-Sammlung TakeType zusammengestellt. Die 100 Schriften aus der Bukva:Raz!-Auswahl zeigen, dass sich in zwei Jahrzehnten viel verändert hat. Was mit auf der ganzen Welt verstreuten Einzelpersönlichkeiten begann, endete mit Hunderten Entwerfern, die von der Vergangenheit des Fachs ebenso fasziniert sind wie von aktuellen Tendenzen. Am meisten fällt jedoch auf, dass bei Bukva:Raz! prämierte Entwerfer auch aus Ländern wie Russland, Portugal, Mexiko, Armenien und Argentinien kommen. Sie könnten genauso gut in Ländern mit einer Tradition im Schriftdesign entstanden sein, in denen auch die großen Schriftenverlage ihren Sitz hatten.
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Der Spanier Iñigo Jerez Quintana hat seine Latina mit einer Sans Serif und einer Serifenschrift nach eigenen Angaben zu einer umfassenden Schriftfamilie ausgebaut, die vielleicht nie erscheinen wird (da unvollendet). Die Latina ist noch nicht zu kaufen, aber schon im Buch Language Culture Type erschienen. Foto: Joep Pohlen.

 
Typografische Empfehlungen


Typografie sollte drei Ziele verfolgen: das Interesse wecken, einen Text zu lesen, die Lesbarkeit unterstützen und die Richtung und Geschwindigkeit des Lesens bestimmen. Diese allgemein gültigen, adressatenbezogenen Anforderungen werden jedoch von zwei subjektiven, produzentenabhängigen Faktoren beeinflusst: den Absichten des Auftraggebers und der Persönlichkeit des Typografen. Der Auftraggeber entscheidet, ob der Text kurz oder lang ist, informativ oder werbend, erzählend oder argumentativ. Entscheidend ist auch die Wahl des Mediums: Handelt es sich um ein Unterhaltungs- oder Lehrbuch, eine Zeitschrift oder Firmenbroschüre, ein Plakat oder eine Visitenkarte? So spielt bei einem Buch der Aspekt der Platzeinsparung meist eine größere Rolle als bei einer Broschüre. Die Persönlichkeit des Entwerfers oder Typografen zeigt sich hingegen oft in einer eher nüchternen oder farb- und formenreicheren Gestaltung.

Vor allem den Leserinteressen wird dabei nach allen Regeln der Kunst gedient. Nun werden Regeln erst wirklich interessant durch ihre Ausnahmen, oder wie ein bekannter Entwerfer auf die Frage antwortete, warum er sich nach 40 Jahren eingeschworener Treue zu seiner eigenen strengen Gestaltungsrastertypografie nun plötzlich davon abwende: „I invented the system, so I can fuck the system.“

Jedoch haben sich hinsichtlich optimaler Lesbarkeit einige bewährte Empfeh­lungen herausgebildet, teils noch aus dem Bleizeitalter, teils schon aus der Computerära. Mit dem Computer kann man viel schneller Varianten ausprobieren und Details verändern. Der Typograf ist daher heute viel näher am Endresultat als zur Zeit des Bleisatzes oder in der vergleichsweise kurzen Übergangsperiode mit Fotosatz und Digitalsatz.
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Dada entstand in Zürich, wurde jedoch schnell von Künstlern anderer Länder aufgegriffen. Man spielte mit Form und Inhalt, wie in der obenstehenden Abbildung, ein Entwurf von El Lissitzky für ein von Kurt Schwitters organisiertes Merz-Treffen (um 1920).
 
Der erste Schritt: Interesse wecken
Der erste Eindruck beim Betrachten einer Seite entscheidet oft, ob Interesse zum Lesen besteht – falls man die Wahl hat. Newsletter oder Zeitschriften kann man nach Lust und Laune lesen, wohingegen man Übungsbögen für die Fahrprüfung oder Informationen von der Finanzbehörde lesen muss. Bei ersteren Publikationen ist auf ein attraktives Layout zu achten, bei letzteren auf klare und deutliche Präsentation der Informationen. Der erste Schritt ist demnach, den Blick einzufangen und zu leiten. Wohin schaut ein Leser zuerst? Wie wird er anschließend weiter in den Text gezogen, und wie bringt man ihn dazu, die entscheidenden Informationen zu beachten? Solche Aspekte berücksichtigten schon die mittelalterlichen Kopisten, wenn sie ihre handgeschriebenen Texte mit Zierinitialen beginnen ließen, um den Anfang anzugeben und die Seite zu „illuminieren“: klarer und zugänglicher zu gestalten.
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Der zweite Schritt: die Lesbarkeit unterstützen
Die Verbesserung der Lesbarkeit ist der zweite Schritt, mit dem man sich schon in die Tiefen des Texts begibt. Man verlässt die aufmerksamkeitsheischende oberflächliche Ebene der Überschriften und Fotos. Bei renommierten Zeitungen sind beide Schritte wichtig. Man will den Leser nicht nur zum Lesen anregen, sondern gestaltet den Artikel auch auf Wort- und Zeichenebene sorgfältig, der Ebene der Detailtypografie: Zwischenüberschriften, Schriftschnitte, Spationierung, Zeilenabstand, Zeilenlänge, Passer, Einzug, Tabs, Leerzeilen, Textausrichtung, Silbentrennung, Verwendung von Satzzeichen, Ziffern und Ligaturen, Platzierung von Initialen und Illustrationen, Verhältnis von Bildunterschriften und Fußnoten zum Fließtext, Tabellengestaltung und so weiter.
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Die Typografie dieses Texts zielt vornehmlich auf Lesbarkeit und Detailtypografie.
 
Der dritte Schritt: den Leser lenken
Ebenso wichtig sind Richtung und Geschwindigkeit des Lesens. Es gibt verschiedene Lesearten, die unterschiedliche Lösungen verlangen.
  • Lineares Lesen: Erfolgt, wenn ein Text von Anfang bis Ende weitgehend hindernisfrei gelesen werden kann. Ein gutes Beispiel ist ein Roman. Der Text soll vor allem ruhig wirken: unsichtbare Typografie für den freiwilligen Leser.
  • Nuanciertes Lesen: Bedeutet, dass man an einer willkürlich gewählten Stelle einer Publikation anfangen kann zu lesen, bei gleichzeitig durchgängigem Aufbau der Information. Beispiele sind wissenschaftliche Bücher und Lehrbücher. Die Texte sind meist einspaltig, eventuell mit einer schmaleren Spalte für Randbemerkungen und ergänzende Verweise. Zwei- oder Mehrspalter kommen jedoch auch vor.
  • Selektives Lesen: Erfolgt bei Publikationen, die aus verschiedenen Lagen aufgebaut sind, die einzeln gelesen werden können, jedoch zueinander in Beziehung stehen: zum Beispiel Schulbücher. Anders als Studenten sind Schüler nicht immer gleich motiviert. Solche Texte sind oft ein- oder zweispaltig, mit viel Platz für Illustrationen. Die Seite enthält viel Weißraum, um dem Auge Ruhe zu gönnen und den Text von der Umgebung isolieren zu können.
  • Nachschlagen: Zur Beantwortung einer Frage, beispielsweise in einer Enzyklopädie, einem Literaturverzeichnis, Wörterbuch oder im Internet: schnelles und effektives googeln nach Informationen. Wörterbücher und Lexika sind meist zwei- oder dreispaltig.
  • Verstehendes Lesen: Erfolgt, wenn jeder einzelne Satz wichtig ist und verstanden werden muss, wie in Kinderbüchern oder einem Gedichtband. Die Lesegeschwindigkeit ist zweitrangig. Die Texte sind meist einspaltig.
  • Informatives Lesen: Beispielsweise bei einer Zeitung: Wir lassen das Auge über die Seite schweifen und picken uns heraus, was wir für wichtig halten. Selten liest man eine Zeitung ganz durch. Zeitungen sind vielspaltig, Beilagen haben oft weniger Spalten, da sie auch erzählende Texte enthalten.
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Diese Doppelseite aus dem Larousse Universel von 1923 zeigt ein Beispiel für die Gestaltung eines Nachschlagewerkes: Das Auge wird von den fett gedruckten Wörtern in den drei Spalten angezogen, und natürlich von den schönen Zeichnungen, die den Text unterbrechen. Foto: Joep Pohlen.
 
Papier und Seitenformat
Die standardisierten Papierformate für Druckwerke leiten sich oft von den normierten DIN-Formaten ab. Die von den Papierfabriken gelieferten Papierbögen sind hiervon abgeleitet, unter Berücksichtigung des Zuschnitts (Überformat), des Greiferrands für die Druckpresse und des Finishing. Die DIN-Formate gehen von einem Verhältnis von 1 : √2 aus. Außer den bekannten A-Formaten werden auch B- und C-Formate verwendet. Die B-Formate sind unbeschnittene Formate, die bis zum Rand bedruckt werden können. Anschließend wird der Bogen auf A-Format geschnitten.
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Das Gestaltungsraster als Basis
Ein brauchbares Gestaltungsraster vereinfacht die systematische und logische Wiedergabe von Text- und Bildmaterial, verleiht dem Text und Bildaufbau Rhythmik und sorgt dafür, dass die visuelle Information strukturiert und transparent übermittelt wird. Des Weiteren sind mit einem Gestaltungsraster ökonomische Vorteile verbunden. Ein Auftrag kann in kürzerer Zeit zu geringeren Kosten abgewickelt werden, da formale Lösungen schon vorab festgelegt sind.
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Für Buchproportionen hat man sich im Laufe der Zeit etliche Systeme ausgedacht. Oben links der von Jan Tschichold verwendete „geheime Kanon“ aus den spätmittelalterlichen Handschriften. Das Seitenverhältnis beträgt 2 : 3, das Verhältnis der Seitenränder 2 : 3 : 4 : 6. Die Höhe des Satzspiegels entspricht der Breite der Seite. Der Satzspiegel bzw. Text beansprucht 44 % der Oberfläche einer Seite. Rechts ein System mit einem breiteren Format im Verhältnis 1 : √2 (DIN-Format). Breite und Höhe sind laut dem Kanon von Villard neunfach unterteilt. Das Verhältnis der Seitenränder beträgt 4 : 6 : 8 : 11. Der Satzspiegel entspricht auch in diesem Fall 44 % der Gesamtoberfläche des Papiers.
 
Spalteneinteilung, Satzbreite und Zeilenabstand
Das Verhältnis von Zeilenlänge, Schriftgröße und Zeilenabstand spielt eine große Rolle für die Lesbarkeit eines Texts. Bei zu langen Zeilen findet der Leser nur schwer wieder zum Anfang der folgenden Zeile zurück. Zu kurze Zeilen lesen sich zu unruhig, da man zu oft in die nächste Zeile springen muss. Zudem ist bei schmal gesetzten Texten Silbentrennung unvermeidlich, und bei schmalen Texten im Blocksatz werden die Weißräume zu groß, wie häufig bei Zeitungen. Bei ziemlich langen Zeilen kann man die Lesbarkeit verbessern, indem man den Zeilenabstand vergrößert. Als Richtwert gilt eine Zeilenlänge von zehn bis zwölf Wörtern oder eine Zeichenzahl zwischen 60 und 70. Aber auch hier gilt, dass der Entwerfer immer durch Ausprobieren das ideale Verhältnis zwischen Schrift, Schriftgröße, Zeilenabstand und Satzbreite herausfinden muss.
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Lorem Ipsum ist ein Blindtext in Fake-Latein, der bereits seit 100 Jahren für die Anfertigung von Satzproben in Gebrauch ist, als Platzhalter im Layout, bevor der definitive Text verfügbar ist. Im Internet können diese Texte in der nötigen Menge generiert werden. Die oben stehenden Texte sind „klassisch“ in Punkten auf einem Raster gesetzt, das im Stil der Schweizer Typografie aufgeteilt ist.
 
Spationierung
Der Abstand zwischen den Buchstaben hängt von der Vision des Entwerfers und dem Stil der jeweiligen Zeit ab. Mal wird der Weißraum verschwenderisch eingesetzt, dann wieder müssen die Buchstaben eng zusammenrücken.Natürlich hat sich der Schriftentwerfer vorher auch alle Buchstabenkombinationen in der Schrift angesehen und den für ihn optimalen Abstand in der Kerningtabelle festgelegt.
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Eine Schlagzeile wird nach Gefühl spationiert: Man taxiert sie mit verengten Augen und entscheidet, wo Weißraum hinzugefügt oder verringert werden muss: eine subjektive Vorgehensweise, bei der jeder zu einem anderen Ergebnis kommt. Die untere Zeile ist optisch korrigiert. Die Pfeile geben an, wo sich verhältnismäßig viel Weißraum zwischen den Buchstaben befindet.
 
Der Absatz
Ein Absatz ist ein Teil eines Texts, kleiner als ein Kapitel. Er teilt einen Sinnzusammenhang ab. Der Autor teilt einen Text in Absätze ein, um Wendungen anzudeuten, Ruhepunkte beim Lesen entstehen zu lassen und mittels dieser visuellen Anknüpfungspunkte den Gesamttext übersichtlicher zu gestalten. Die Länge eines Absatzes beeinflusst die Art, ihn abzusetzen. Es kann passieren, dass einige aufeinanderfolgende Absätze eine zusammenhängende Gruppe bilden, aber noch kein Kapitel, und auch sie wollen passend abgesetzt sein. Der Entwerfer muss sich gut in den Aufbau, das Tempo und die Dynamik des Texts vertiefen, um die Intentionen des Autors grafisch so gut wie möglich zu übersetzen.
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Satzform
Texte können auf unterschiedliche Art ausgerichtet werden. Ein linksbündiger Text ist für das westliche Auge, gewöhnt an das Lesen von links nach rechts, die natürliche Satzform. Linksbündiger Text kann rechts ausgefüllt werden (gleichzeitig rechtsbündig sein, Blocksatz) oder im Flattersatz auslaufen. Blocksatz finden wir bei Zeitungen und Zeitschriften vor, wo die so entstandenen Textblöcke, oft noch durch eine vertikale Linie abgetrennt, zusammen mit den Überschriften, anderem Text- oder Bildmaterial und Anzeigen, ein übersichtliches und ruhiges Bild ergeben sollen. Bei Blocksatz ergibt sich ein gleichmäßiger Grauwert.
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Zeilenabstand
Bei einer Schriftgröße von 9 pt ohne zusätzlichen Durchschuss beträgt der Zeilenabstand 9 pt. Der Text ist dann kompress gesetzt: c. 9/9. Kompress gesetzter Text ist oft nicht so gut lesbar. Das hängt großenteils von der Mittellänge und der Ausprägung der Ober- und Unterlängen der jeweiligen Schrift ab. Die eine Schrift hat bei derselben Schriftgröße nun einmal ein größeres Schriftbild als die andere. Je größer der Schriftgrad der Schrift, desto weniger zusätzlicher Zeilendurchschuss wird benötigt. Auch fettere Schriften und Schriftschnitte verlangen oft nach einem etwas größeren Zeilenabstand. Bei größerer Satzbreite sollte der Zeilenabstand ebenfalls etwas größer sein, damit der Leser den Weg zurück zum Anfang der nächsten Zeile findet.
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Derselbe Text, gesetzt im selben Schriftgrad, in drei verschiedenen Breiten und mit unterschiedlichem Zeilenabstand: ohne zusätzlichen Durchschuss (8,5/8,5), mit 1 pt Durchschuss (8,5/9,5), mit 2 pt Durchschuss (8,5/10,5). Die verwendete Schrift ist die Quadrat von Fred Smeijers. Allgemein gilt: Je länger die Zeilen, desto mehr Zeilenabstand ist nötig. Der Schriftgrad im Block links unten wirkt größer als in den anderen Beispielen, dem ist aber nicht so: Auch solche optischen Täuschungen wollen berücksichtigt sein.

 
Die Wahl einer Schrift


Viele Gestalter arbeiten mit einer gewissen Anzahl von ihnen bevorzugter Schriften. Doch sollte man immer wieder überprüfen, ob diese sich für den jeweiligen Verwendungszweck auch wirklich eignen. Liegen die notwendigen Schriftschnitte und Satzzeichen vor? Wie viel Platz nimmt die Schrift in Anspruch? Gibt es Zeichensätze für andere Sprachen? Braucht man Ligaturen oder Kapitälchen? Falls in einem Text viele Ziffern vorkommen: Sind Mediävalziffern verfügbar? Braucht man Tabellenziffern für Tabellen oder Aufzählungen? Technische Rahmenbedingungen, die eine Schrift erfüllen muss. Ist der Auftrag von begrenztem Umfang und einmalig, kann man eine Schrift ohne viele Extras wählen, mit wenigen Schriftschnitten und ohne Mediävalziffern und Kapitälchen. Wichtig ist in jedem Fall eine gute Absprache mit dem Autor, damit die von ihm vorgesehene Hervorhebung von Wörtern und Begriffen auch möglich ist.
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Kinder und Fehlsichtige
Für bestimmte Verwendungszwecke sind manche Schriften geeigneter als andere. Die Gill Sans wird beispielsweise auffallend oft für Kinderbücher verwendet. Als serifenlose humanistische Linear-Antiqua ist sie hell und klar und doch unterscheiden sich die einzelnen Buchstaben genug. Besonders in großen Schriftgraden gleichen die Serifenlosen der Schreiblernschrift mehr als die Serifenschriften.
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Einige Schriften, die für Kinderbücher und bei Texten für Fehlsichtige und Dyslektiker verwendet werden. Die weichrundliche Gill Sans wird häufig in Kinderbüchern verwendet, die APHont wurde speziell für Sehbehinderte entworfen. Interessenverbände von Sehbehinderten nennen als geeignete Alternativen die Tahoma und die Comic Sans.
 
Zeitungen
Auf dem Gebiet der Zeitungsschriften hat sich natürlich auch noch so manches getan, seit in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Times New Roman und die Excelsior entstanden. Die Schriften müssen auf minderwertigen Papiersorten lesbar bleiben und gleichzeitig platzsparend sein. Hier liegt ein besonderes Interessengebiet des niederländischen Schriftentwerfers Gerard Unger. Seine Swift, Gulliver und Coranto besitzen eine hohe Mittellänge und große Innenpunzen. Die Swift ist in vielen niederländischen, aber auch anderssprachigen Zeitungen zu bewundern. Die Gulliver gilt als platzsparendste Schrift überhaupt. Die amerikanische Zeitung USA Today konnte dank dieser Schrift die Zeitung um 3 cm schmaler machen, bei gleicher Zeichenmenge. Zudem wirkt die Gulliver größer als die zuvor verwendete Bedford. Auch der Franzose Jean François Porchez entwirft maßgeschneiderte Schriften für große Auftraggeber. Seine Le Monde wurde, wie der Name bereits angibt, für die renommierte französische Zeitung Le Monde entworfen.
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Eine Abbildung aus dem Folder der Greta von Typotheque. Die Greta ist eine der meistverwendeten Schriften für Zeitungen, mit drei grades (wie bei der Miller), narrow- und Display-Versionen und Ornamenten. Die Greta wurde speziell für Sprachen mit vielen Akzenten wie Slowakisch entworfen. Foto: Joep Pohlen.
 
Beschilderung
Eigentlich sollte man annehmen, dass für Beschilderungen ganz andere Schriften verwendet werden müssen als für Zeitungen, doch werden viele speziell für Schilder entworfene Serifenlose inzwischen häufig in Zeitungen verwendet: so die Schrift für die amerikanischen Autobahnschilder, Interstate, sowie die Frutiger.
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Unterschiedliche Schriften für Beschilderungen. Oben die Johnston, entworfen 1916 für die London Underground. Die Akzidenz Grotesk (1896) stand auf den Schildern des Amsterdamer Flughafens Schiphol, später ersetzt durch die Frutiger. Die Interstate steht auf den Straßenschildern etlicher Länder, darunter der USA, Spanien, der Niederlande, Australien, Neuseeland und vieler mittel- und südamerikanischer Länder. Die DIN 1451 wird unter anderem in Deutschland und Tschechien verwendet. Abgebildet sind einige Zeichen, die vor allem aus größerer Entfernung nicht so gut voneinander zu unterscheiden sind, die sogenannten kritischen Zeichen. Die Schriften müssen so schmal wie möglich sein, damit auch lange Namen auf ein Schild passen. Manche haben dafür einen Condensed-Schriftschnitt.
 
Corporate Fonts
Ein anderes wichtiges Betätigungsfeld für Schriftentwerfer sind die Corporate Fonts. Sie sind oft sehr umfassend und sollen das Image und die Ziele eines Betriebs oder einer Institution transportieren. Zu den Ersten gehört die VAG von Adrian Williams von 1979 für die Volkswagen AG.
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Wörterbücher und Bibeln
Bei Wörterbüchern, Bibeln, Lexika, aber auch in den Gelben Seiten und anderen Telefonbüchern ist platzsparende Typografie gefragt. Auch hierfür gibt es natürlich spezielle Schriften. Für Van Dale Lexicografie wurde die Lexicon von Bram de Does um phonetische Zeichen ergänzt. Die Schrift verfügt über spezielle Schriftschnitte mit kürzeren Ober- und Unterlängen und bleibt auch bei knappem Zeilenabstand auf dicht bedruckten Seiten gut lesbar.
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Gemischte Schriftfamilien
Immer öfter werden Schriften gemixt. In Hausstilen kommen sowohl Serifenschriften als auch Serifenlose zum Einsatz. Nicht jede Publikation muss gleich sachlich und geschäftsmäßig sein. So sind aus den Corporate Fonts umfassende Schriftfamilien entstanden, die außer serifenlosen Schriften auch noch andere Kategorien aus der Schriftklassifikation umfassen.
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Textschriften
Ein Großteil der verfügbaren und meistverwendeten Schriften wurde primär für Texte entworfen. Eine Textschrift muss nach wie vor in technischer Hinsicht gut gemacht sein: gut gezeichnet, um den Drucker nicht mit Rechenarbeit zu überlasten, gut spationiert, und die verfügbaren Zeichen müssen brauchbar und ausreichend sein. Etliche Schriftentwerfer bieten ihre Schriften im Internet an und entwerfen auf Wunsch maßgefertigte Schriften für Zeitungen und Firmen. Die meisten Schriften, die wir heute verwenden, sind Revivals jahrhundertealter Entwürfe, manchmal aus der Anfangszeit des Schriftdesigns. Eine unerschöpfliche Quelle für Revivals ist beispielsweise das Werk von Claude Garamond.
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Eine Auswahl von sechs Garamonds, jede mit eigenem Charakter, aber doch gleichen Ursprungs. Es gibt noch zahllose weitere desselben Namens und noch mehr mit anderen Namen, die sich in Form und Ausstrahlung an der Garamond orientieren.

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